Wenn man nichts plant, kann a) nichts schief gehen und b) ergeben sich viele Dinge wie von selbst. So auch unser Ein-Tages-Aufenthalt in Joburg.
Nach der Aquise unseres Autos und der Vodacom-SIM haben wir beide zusammengestöpselt, Maps auf dem Handy angeschmissen und sind problemlos bis in unsere Unterkunft gefahren. Einen kleinen Umweg mussten wir nehmen, weil die Ausfahrt schneller als erwartet kam. Sonst war weder der Verkehr noch die Orientierung ein größeres Problem. Solange genug Autos auf der Straße sind, kann man sich gut orientieren. Die Regel gilt allerdings nur für größere Städte, auf dem Land hält einen der Instinkt auf der richtigen Seite (und die ist nicht immer links…).
Im House of York wurden wir herzlich begrüßt und nach ein paar Minuten Höflichkeiten hing der Hausmanager Gavin auch schon am Telefon, um uns einen Fahrer für eine Tour durch Soweto am nächsten Tag zu organisieren. Wir hatten zwar im Vorfeld einige Möglichkeiten für Besichtigungen in Joburg recherchiert, aber nichts verbindlich gebucht. Ebenso empfahl er uns, nach der Tour noch im Apartheid-Museum vorbei zu schauen, das läge sowieso auf unserem Weg. Den ersten Abend verbrachten wir dann ganz unspektakulär mit einem Spaziergang zur nächsten Straßenecke, um Pizza zu ordern. Die Straßen rund um das B&B waren recht belebt, aber Gavin erklärte uns, dass wir uns hier rund um den Block problemlos bewegen können. Den German-Grill gegenüber dem Pizza-Imbiss mit einigen Germanen auf der Terasse versuchten wir weitgehend zu ignorieren.
Am folgenden Morgen starteten wir mit unserem Fahrer Richtung Orlando-Towers. Die Orlando-Towers sind zwei Kühltürme, die heute als Outdoor-Spielplatz genutzt werden und ein Wahrzeichen des Townships. Von dort oben habe man einen fantastischen Ausblick über Joburg und Soweto (= South Western Townships) wurde uns erklärt. Auf dem Weg fuhren wir am Chris Hani Baragwanath Hospital vobei, das als eines der größten Krankenhäuser Südafrikas, der südlichen Hemisphäre oder Afrikas gilt (je nachdem wen man fragt). Einen Steinwurf entfernt steht das größte Einkaufszentrum der Region und unser Fahrer erklärte, dass viele Soweto-Bewohner, die es in die Mittelschicht oder noch höher schaffen, heute in dem Township bleiben. Viele Bewohner seien stolz aus Soweto zu kommen. Auch der Besitzer der riesigen Shoppingmall lebt immer noch in einem der vielen Bezirke, die zusammen Soweto bilden. Übrigens hat Soweto einen deutschen (sogar hessischen) Urvater: 1904 wurde die Siedlung als Klipspruit für schwarze Mienenarbeiter errichtet. Gründer war der in Friedberg geborene Ernst Oppenheimer, der später mit seinem Diamatensyndikat CSO den weltweiten Handel mit Edelsteinen kontrollierte.
Angekommen an den Orlando-Towers folgt dann schnell die Einsicht, dass wir die Stadt an diesem Tag nicht von oben sehen können. Ausgerechnet heute werden die Paintings erneuert und die Sicherheitscrew checkt die Funktionalität der Bungee-Installation. So bleibt uns nicht mehr, als die Türme von unten zu erkunden. Das ist zwar auch interssant, jedoch kein Vergleich zu dem Eindruck, der uns von oben erwartet hätte. Die Türme liegen in einem Industrieviertel, das verlassen aussieht. Um uns herum nur kaputte Fabriken und Müll. Für einen Schwarz-Weiß-Fotokurs gäbe es unendlich viele Motive, aber wir wollten den Blick von oben. Nach 20 Minuten und einer kleinen Fotosafari um die Türme geht es wieder ins Auto und weiter durch Orlando.
Die nächste Station auf unserer Route ist die Kirche Regina Mundi, in der die Spuren der Rassenverfolgung noch sehr lebendig sind. Hierhin flüchteten sich am 16. Juni 1976 während des Soweto-Aufstands zahlreiche Demonstranten vor der Verfolgung duch die Polizei. Das die Kirche ihnen nicht den Schutz bieten konnte den sie sich erhofften, zeigen noch heute zahlreiche Einschusslöcher in Decke und Wänden. Neben den offensichtlichen Spuren der Zeit, zeigt eine Fotoausstellung dramatische Bilder aus der Zeit der Apartheid. Zwischen die Fotos haben Besucher ihre kämpferischen, aufmunternden und dankenden Worte geschrieben. Dadurch wirkt die Szenerie auf uns lebendig und mitreißend, nicht andächtig oder still wie man es in einer Kirche erwartet. Durch die Kommentare wird uns klar, wie frisch die Wunden der Gesellschaft noch sind und wie wenig Zeit seitdem vergangen ist. Erst 1994 wurde mit dem Übergang zu einer Demokratie ein neues Kapitel in der Geschichte Südafrikas begonnen.
Weiter geht es auf den Spuren der jüngeren Geschichte Südafrikas. Wir fahren zu einem Museum, das nach einer Person benannt ist, die in Afrika jedes Kind kennt: Hector Pieterson. Seine Geschichte endete am gleichen Tag, an dem die Demonstanten Schutz in der Regina Mundi suchten. Hector wurde am 16. Juni 1976 von der Polizei bei den Studentenprotesten in Soweto erschossen. Er war nicht der erste Tote, doch durch die Fotografie von Sam Nzima wurde sein Name weltberühmt. Nzimas Foto zeigt, wie sein Bruder den sterbenden Hector vor der Polizei wegträgt – neben den beiden läuft weinend Hectors Schwester. Hector wurde nur 13 Jahre alt.
Das Museum erweckt die Zeit der gewaltsamen Unruhen zum Leben. Überall flimmern Videoaufnahmen der Zeit, Radiomitschnitte und Polizei-Funksprüche sind zu hören, überlebensgroße Fotos der Unruhen und der brutalen Vorgehensweise der Polizei zu sehen. Hier wird uns wieder bewusst, dass die Geschichte weit jünger ist, als die Greul der Nazis, die wir aus dem Geschichtsunterricht und unzähligen TV-Dokus kennen. Die Aufnahmen sind in Farbe und den ein oder anderen bekannten Nachrichtensprecher entdecken wir auch.
Außer uns sind wenige Touristen im Museum, dafür werden hunderte Schüler durchgeschleust. Sie schreien, jauchzen und benehmen sich, wie wir uns vielleicht in der 5. Klasse im Museum benommen haben. Das bildet einen aufheiternden Kontrast zu der sonst so traurigen Geschichtsstunde. Besonders Isis blonde Mähne hat es den Mädels angetan und sie stehen fast Schlange, um einmal hinein greifen zu dürfen.
Zurück auf der Straße geht es weiter durch den Distrikt Orlando. Wir sind jetzt in einem Gebiet von Soweto, das touristisch so gut erschlossen ist, wie New York oder London. Hier fanden nicht nur die schlimmsten Rassenunruhen statt, sondern hier befinden sich auf wenige Häuserblocks verteilt, das ehemalige Hause von Nelson Mandela und das von Bischof Desmond Tutu. Es ist die einzige Straße der Welt, in der zwei Friedensnobelpreisträger wohnen. Klar, dass das kommerziell genutzt wird. So ist die Besichtigung von Madibas Haus auch wenig spektakulär. Das rote Klinkerhaus (Matchbox-Haus genannt, weil davon tausende wie Streichholzschachteln nebeneinander stehen) besteht eigentlich nur aus drei Räumen. Die sind vollgestopft mit Andenken, Urkunden und sovielen Touristen, dass man sich beinah nicht umdrehen kann. Kein Vergleich zu den Eindrücken die wir auf unseren ersten Stationen gesammelt haben.
Nach dem Besuch haben wir eine Stärkung nötig. Unserer Fahrer bringt uns wenige hundert Meter weiter in ein Restaurant, das afrikanische Küche serviert. Isi ordert Hühnchen. Ich habe bei der englischen Erklärung der afrikanischen Speisen wohl nicht so gut aufgepasst. Als die Bedienung mit dem Essen anrückt, versuche ich zu erkennen, was neben dem Hühnchen auf dem anderen Teller liegt. Leider lässt sich das nicht so ohne weiteres sagen, denn die Fleischstücke haben einen zarten, aber sehr dicken Fettrand, während auf der anderen Seite schwarze Zoten auf dem Teller baumeln. So etwas hatte ich bisher definitiv noch nicht auf dem Speiseplan. Aber gut, es wird gegessen was auf den Tisch kommt. Also greife ich beherzt zu, der Hunger wird es schon reintreiben. Nachdem das erste Stück in meinem Mund landet, verursachen die Zoten und die unbeschreiblich wabblige Konsistenz einen leichten Würgereiz, aber ich kaue (noch). Bei jedem Bissen knirscht es in meinem Mund, wie wenn man auf große Salzkörner beißt. Irgendwas muss zwischen den Zoten abgelagert sein. Nachdem ich vier oder fünf dieser Feinkoststücke heruntergewürgt habe, muss ich aufgeben. Meine Beilage ist schon aufgegessen und ich habe nichts mehr auf dem Teller, mitdem ich den widerlichen Geschmack und die ecklige Konsistenz überdecken kann. Ich gebe auf.
Nachdem abgeräumt wurde, frage ich unseren Fahrer nochmal, was mir hier serviert wurde. Mit einem süffisanten Grinsen im Gesicht erklärt er mir, dass ich hier gerade Magen gegessen hätte. Macht Sinn. Aufgrund der Zoten könnte es auch Darm gewesen sein. Aber das ist jetzt auch egal. Eine Cola später ist der Geschmack Gott sei Dank verflogen. Leider meldet er sich bis zum nächsten Morgen durch wiederholtes Aufstoßen. Aber was solls, für solche Erlebnisse sind wir ja hier. Isi muss zwar auch ein bisschen mit dem Hühnchen kämpfen, befindet sich geschmacklich aber auf sicherem Terrain. Mein Angebot einer Kostprobe lehnt sie dankend ab.
Nach unserer vorzüglichen Stärkung geht es weiter durch Orlando, an Desmond Tutus Haus vorbei, dann am Stadion der Orlando Pirates (einem der bekanntesten Teams in Südafrika, neben den Kaizer Chiefs) und wieder zurück in unser B&B. Leider hatten wir auf unserer Tour keine Gelegenheit tief in die Slums von Soweto zu fahren, sondern befanden uns immer auf touristischen Pfaden. Vielleicht ist das aber auch gut so, denn so nehmen wir ein anderes Bild aus Soweto mit, als wir vorher in unseren Köpfen hatten. Es ist nicht alles Moloch, hier sind Dinge im Aufbruch und an der Geschichte wird gearbeitet.
Nach einem kleinen Zwischenstopp im House of York brechen wir wieder auf, um noch vor der Dunkelheit das Apartheid-Museum zu besuchen. Das Apartheid-Museum hat eigentlich einen ganzen Tag verdient und wir sind untröstlich, dass wir erst am Nachmittag einrücken. Zudem schon ziemlich geplättet von der morgendlichen Geschichtsstunde rauschen die Eindrücke an uns vorbei. Dabei ist das Museum wirklich ein Must-See bei einem Joburg-Besuch. Zu Beginn erhalten die Besucher nach dem Zufallsprinzip eine Eintrittskarte für Whites oder Non-Whites und damit startet der Besuch je nach Karte ganz unterschiedlich. Die Separation wird auf einfachstem Wege spürbar gemacht. Später führen die Besuchswege wieder zusammen. Aktuell gibt es eine Sonderausstellung zum Leben und Wirken von Nelson Mandela. Wir schieben uns durch einen Großteil der Ausstellungen, aber müssen nach knapp zwei Stunden einsehen, dass wir heute keine weiteren Geschichtslektionen mehr mitnehmen können. Außerdem steht uns noch eine knapp zweistündige Fahrt bevor, die natürlich durch die Joburger Rushhour führt und ebenso in die Dunkelheit. Beides Umstände, die man laut Reiseführer in Joburg besser vermeiden sollte.
Von den Eindrücken des Tages infiziert, laden wir uns die Biografie von Nelson Mandela herunter. Wir wollen jetzt die ganze Geschichte kennen lernen. Ein Tag ist dafür definitiv zu wenig.
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